Hl. Marcellin
Champagnat
Ordensgründer der Maristenbrüder
(1789
Marlhes
bei Saint-Étienne; 1840 in Notre Dame de l'Hermitage)
Im September 1828 stiegen zwei
Priester in eine Postkutsche, die von Saint-Étienne nach Saint-Chamond fuhr,
und trafen darin auf drei junge Leute in geistlicher Kleidung. Einer der beiden
Priester fragte den anderen, welchem Orden die so erstaunlich bescheiden
wirkenden jungen Männer wohl angehörten: « Das sind Brüder, die Kinder auf dem
Lande unterrichten. » – « Wie heißen sie? » – « Sie heißen die Kleinen Brüder
Mariens. » – « Wer hat diese Gemeinschaft gegründet? » – « Darüber weiß man
nicht allzu viel. Ein paar junge Leute haben sich zusammengeschlossen und eine
ihrem Ziel entsprechende Regel entworfen; dann nahm sich ein Kaplan ihrer Sache
an, Gott segnete die Gemeinschaft und ließ sie über alle menschliche Erwartung
hinaus gedeihen. » Der Priester, der so bescheiden sprach und weder seinen
Namen noch seine Rolle nannte, war Marcellin Champagnat, der Stifter der
Gemeinschaft.
Marcellin wurde als das neunte von zehn Kindern am 20. Mai 1789 in Le
Rosey, einem kleinen Weiler in der Gemeinde Am selben Jahr brach die
französische Revolution auf.Jean-Baptiste Champagnat, Marcellins Vater, wurde
zum Obersten der kantonalen Nationalgarde befördert. In dieser Funktion musste
er in der zum Tempel der Göttin der Vernunft umgewandelten Kirche von Marlhes
den Kultus leiten. Nichtsdestotrotz beherbergte er seine Schwester, eine Nonne,
bei sich und ließ seine Frau und seine Kinder an Messen teilnehmen, die von
geflohenen und in der Gegend versteckten Priestern gelesen wurden.
« Er ist nicht begabt genug. »
Marcellin machte es Spaß, seinem Vater auf Schritt und Tritt zu folgen: zum
Ofen, zur Mühle, auf die Felder und Weiden. Er war fleißig bei der Arbeit und
entwickelte ein besonderes Geschick im Handeln: Einmal hatte man ihm zwei junge
Lämmer anvertraut, die er zunächst pflegte und einige Monate später verkaufte.
Mit seinem Bruder Jean-Pierre plante er daraufhin, ein Handelsunternehmen zu
gründen.
Im Sommer 1803 wurde die Familie Champagnat von zwei Priestern aufgesucht,
die im Auftrag des Lyoner Erzbischofs Fesch, eines Onkels von Napoleon, durch
die Diözese reisten und Berufungen zum Priestertum wecken sollten. Der Pfarrer
von Marlhes hatte ihnen den Besuch dieser Familie mit drei wohlgeratenen Söhnen
empfohlen. Etwas überrascht antwortete Herr Champagnat auf ihre Fragen: « Meine
Kinder haben mir gegenüber niemals den Wunsch geäußert, Priester zu werden.
Aber sie sind alle hier in der Nähe; Sie können sie selbst fragen. » Marcellins
Brüder sagten, sie wollten nicht, Marcellin jedoch gestand seinen bis dahin
geheimen Wunsch, Priester zu werden. Um ihm schulische Grundkenntnisse zu
vermitteln, wurde er zu seinem Schwager geschickt, einem Volksschullehrer im
Nachbardorf. Doch schon bald musste er den plötzlichen Tod seines Vaters
verkraften. Am Ende des Schuljahres sagte der Schwager zu Frau Champagnat: «
Ihr Sohn hat sich in den Kopf gesetzt zu studieren, aber Sie sollten ihn nicht
lassen. Er ist nicht begabt genug, um Erfolg zu haben, und seine Lücken sind zu
groß, als dass es gelingen könnte. » Marcellin war sich durchaus seiner Grenzen
bewusst, doch seine Mutter unterstützte ihn; sie pilgerten zusammen in das
einen Tagesmarsch von Marlhes entfernte La Louvesc zum Grab des heiligen
François-Régis, der im 16. Jahrhundert als Apostel der Region gewirkt hatte.
Nach Hause zurückgekehrt, erklärte der junge Mann: « Packt bitte meine Sachen,
ich möchte aufs Seminar gehen. Ich werde es schaffen, denn Gott will es so. »
Im Herbst 1805 fuhr er also zur bischöflichen Schule nach Verrières. Er war
bereits über 16 Jahre alt und gab sich große Mühe mit dem Lernen. Da seine
Klassenkameraden viel jünger waren als er, sparten sie nicht an Hänseleien ihm
gegenüber. Der Anfang fiel ihm sehr schwer, die Lehrer waren eher
pessimistisch. Zudem ließ das Benehmen Marcellins manchmal zu wünschen übrig;
so ging er an seinem Namenstag von einigen Kameraden angestiftet zum Trinken in
ein Wirtshaus. Am Ende des ersten Jahres wurde Marcellin für unfähig befunden
weiterzumachen. Er war trotzdem weiterhin von seiner Berufung überzeugt und
unternahm erneut einen Pilgermarsch nach La Louvesc; danach bat er den Leiter
des Seminars flehentlich darum, ihn ein weiteres Jahr zuzulassen. Dieser
Versuch war dank der Unterstützung durch einen Priester sowie einen Mitschüler
von Erfolg gekrönt. Marcellin setzte sein Studium am kleinen Seminar 8 Jahre
lang fort und wechselte am 1. November 1813 auf das nach dem hl. Irenäus
benannte Priesterseminar nach Lyon. Die drei Jahre, die er dort verbrachte,
verliefen trotz der politischen Umwälzungen nach dem Sturz Napoleons in einer
friedlichen, frommen und arbeitsamen Atmosphäre. Der Seminarist wandelte sich
und wurde viel pflichtbewusster. In den Ferien unterwies er die Kinder seines
Dorfes im Katechismus.
« Übernehmen Sie doch die Brüder!
»
Da Marcellin und einige seiner Freunde von der Entchristlichung des Landes
sehr betroffen waren, planten sie in ihrem letzten Studienjahr am Seminar die
Gründung einer « Gesellschaft der Maristenbrüder », deren Mitglieder sich unter
dem Schutz der Allerseligsten Gottesmutter als Missionare um die Erneuerung des
Glaubens unter den Christen bemühen sollten. Die Gesellschaft wurde tatsächlich
gegründet und etablierte sich allmählich nach 1817, bis sie 1836 schließlich
vom Heiligen Stuhl anerkannt wurde. Marcellin, der in seiner Kindheit sehr
unter seinen Bildungslücken gelitten hatte, bestand darauf, dass man sich auch
der Schulbildung der Kinder annehmen sollte. Er wollte Schulbrüder für den
Unterricht ausbilden. Da er nicht locker ließ, sagten die Anderen zu ihm: «
Übernehmen Sie doch die Brüder, da Sie die Idee hatten! » Er sah darin eine Einladung
Gottes.
Am 22. Juli 1816 empfing Marcellin mit 51 Mitbrüdern die Priesterweihe. Am
Tag danach stiegen 12 von ihnen zum Marienheiligtum auf dem Hügel von Fourvière
hinauf, um sich zur Gründung einer Kongregation von Maristenpatres zu
verpflichten. Am 13. August kam Abbé Champagnat in das Bergdorf La Valla, wo er
zum Vikar ernannt worden war. Wegen der zerstreuten Besiedlung und der
Auswirkungen der Französischen Revolution war der Kirchenbesuch nicht sehr
rege. Der Pfarrer, dessen Vikar Marcellin acht Jahre lang war, war ein älterer
Mann mit einer zögerlichen Sprache, der möglichst wenig predigte und keinen
Katechismusunterricht erteilte. Marcellin, damals 27 Jahre alt, machte sich ans
Werk. Seine besondere Fürsorge galt den Kindern. Er versammelte sie sonntags
und im Winter jeden Morgen um sich. Seine Belehrungen waren schlicht und klar,
ausgeschmückt mit Beispielen aus dem Lebensumfeld seiner Zuhörer, mit Motiven
aus der Heiligen Schrift und aus dem Leben der Heiligen. In seinen
Sonntagspredigten erinnerte Marcellin an die großen Glaubenswahrheiten. Er
legte mitunter eine gewisse Strenge an den Tag, die jedoch auf Grund seiner
großen Güte akzeptiert wurde. Da er seine Schäfchen liebte, konnte er es sich
erlauben, sie zurechtzuweisen, wenn er sie im Sumpf des Alkoholismus und der
Dorfbälle versinken sah, die ihre Seelen gefährdeten. Er duldete keine
Eifersüchteleien und Streitereien unter Verwandten.
Er selbst beschäftigte sich jeden Tag mit Theologie. Bald pflegte er mit
Erlaubnis seines Pfarrers sonntagnachmittags einen Gottesdienst zu feiern, in
welchen er praktische und seine Zuhörer packende Überlegungen einflocht. Die
Leute kamen immer zahlreicher zu dieser Veranstaltung. Zu jeder Jahreszeit,
selbst bei Sturm und Schneegestöber nahm Marcellin stundenlange Fußmärsche auf
sich, um Kranke zu besuchen, das Bußsakrament zu spenden oder Sterbenden
beizustehen. Nach und nach vollzog sich ein wirklicher Gesinnungswandel bei den
Christen von La Valla und Umgebung.
Am 28. Oktober 1816 wurde der Vikar in einen weit entfernten Weiler zum
Krankenbett eines Kindes namens Jean-Baptiste Montagne gerufen. Schmerzhaft
überrascht musste er feststellen, dass der Knabe keinerlei Kenntnisse über
Religion besaß, ja nicht einmal wusste, dass es einen Gott gab. Zwei Stunden
lang unterwies er das Kind in den Grundlagen des Glaubens und nahm ihm dann die
Beichte ab. Als er nach einem weiteren Krankenbesuch wiederkam, war das Kind
gestorben. Zwar voller Dankbarkeit an die göttliche Vorsehung, die ihn zu
diesem Sterbenden geführt hatte, war er doch auch sehr bestürzt, in einer als
christlich geltenden Pfarrgemeinde auf ein so tiefes Unwissen gestoßen zu sein.
Von da an verließ ihn der Gedanke nicht mehr, dass er so bald wie möglich eine
Gesellschaft von Schulbrüdern gründen musste, die den Kindern christliche
Unterweisung erteilen würden.
« Erziehungsnotstand »
Die christliche Erziehung der Kinder ist heute noch eine wesentliche
Aufgabe, wie Papst Benedikt XVI. betont: « ... In einer Kultur, die aus dem
Relativismus nur allzu oft ihr Credo macht – der Relativismus ist zu einer Art
Dogma geworden –, in solch einer Gesellschaft fehlt das Licht der Wahrheit. Von
Wahrheit zu sprechen, wird sogar als gefährlich, als ‚autoritär' betrachtet,
und am Ende zweifelt man daran, dass das Leben gut ist « Und dennoch ist es
eine grundlegende Priorität unserer Pastoralarbeit, die junge Generation, die
in einer Gott zum großen Teil fernstehenden Welt lebt, näher zu Christus und
zum Vater zu bringen. Liebe Brüder und Schwestern, wir müssen uns stets bewusst
sein, dass wir ein solches Werk nicht aus eigenen Kräften vollbringen können,
sondern nur durch die Kraft des Heiligen Geistes. Es bedarf des Lichtes und der
Gnade, die von Gott kommen und die im Innersten des Herzens und des Gewissens
wirken. Für die christliche Erziehung und Ausbildung ist daher vor allem das
Gebet und unsere persönliche Freundschaft mit Jesus entscheidend: Nur wer Jesus
kennt und liebt, kann seine Brüder in eine lebendige Beziehung mit ihm
hineinführen « Bei der Erziehung zum Glauben ist der katholischen Schule eine
sehr wichtige Aufgabe anvertraut. Sie stützt sich nämlich auf einen
Bildungsplan, bei dem das Evangelium als entscheidender Bezugspunkt für die
Ausbildung der Person und das ganze kulturelle Angebot im Mittelpunkt steht,
und auf diese Weise kommt sie ihrer Sendung nach. In überzeugter Zusammenarbeit
mit den Familien und mit der kirchlichen Gemeinschaft versucht die katholische
Schule also, jene Einheit zwischen dem Glauben, der Kultur und dem Leben zu
fördern, die das wesentliche Ziel der christlichen Erziehung ist » (Ansprache
vom 11. Juni 2007).
Nach seinem Besuch beim jungen Montagne, nahm Marcellin zwei junge Männer
bei sich auf, die den Grundstock seiner neuen Kongregation bilden sollten. Die
Anfänge des Werks waren überaus bescheiden. Abbé Champagnat brachte seine
beiden Novizen am 2. Februar 1817 in einem kleinen Häuschen in der Nähe des
Pfarrhauses unter. Sie lebten in extremer Armut. Ihre Zeit war in Gebet,
Studium und manuelle Arbeit eingeteilt. Für ihren Lebensunterhalt stellten sie
- wie alle Familien in der Nachbarschaft - Nägel her. Zu den ersten beiden
Novizen gesellten sich bald vier Postulanten. Einer von ihnen, Gabriel Rivat,
war erst zehn Jahre alt und fromm erzogen. Schon seit zwei Jahren nahm er
eifrig an den Katechismusstunden von Abbé Champagnat teil und fühlte sich nach
seiner Erstkommunion berufen, sich der Brüdergruppe in La Valla anzuschließen.
Er wurde am 6. Mai 1818 von seiner Mutter, die ihn bereits in seiner frühesten
Kindheit Maria geweiht hatte, zum Vikar gebracht. Gabriel wurde unter seinem
Ordensnamen Bruder François später der Nachfolger des Gründers an der Spitze
der Maristenbrüder.
« Das ist dein Werk! »
Die Betreuung der Brüder hielt Abbé Champagnat nicht davon ab, seine Pflichten
in der Pfarrgemeinde zu erfüllen. Der Pfarrer indes fand, dass sein Vikar sich
übernahm. Daraufhin bat Marcellin um die Erlaubnis, in das Haus der Brüder
überzusiedeln, und bekam sie auch; bei der Ausbildung der Brüder ließ er sich
von einem Grundschullehrer unterstützen. Als er vier Jahre nach seiner Ankunft
in La Valla feststellen musste, dass er vor Ort keine weiteren neuberufenen
Brüder finden konnte, begann er eine Novene an die Seligste Jungfrau: « Das ist
dein Werk », sprach er zu ihr, « und nicht meins. Schick mir bitte Brüder. »
Sein Gebet wurde erhört, und es kamen junge Leute aus größerer Entfernung, um
sich vorzustellen. Bald erwiesen sich die Räumlichkeiten als zu eng; ein Neubau
war dringend nötig. Die ganze Gemeinschaft machte sich unter Marcellins
Leitung, der selbst als Maurer oder Tischler arbeitete, ans Werk.
Unterdessen hatte Champagnat mit der Gründung von Schulen begonnen:
Darunter war auch eine in Marlhes, seiner Heimatgemeinde. In den Pfarrhäusern
der Gegend kursierten allerdings herbe Bemerkungen über den Vikar von La Valla:
« Seine Kongregation ist ein Luftschloss, auf Hochmut und Leichtsinn gebaut.
Wie kann einer wie er, der weder über Mittel noch über Talent verfügt,
überhaupt daran denken, eine religiöse Gemeinschaft zu gründen? » Manch ein
Pfarrer versagte dem Werk nicht nur seine Unterstützung, sondern riet berufenen
jungen Männern sogar davon ab. « Man misstraute uns zu Unrecht », schrieb ein
Schüler Marcellins später, « und zog unsere Motive, zu Champagnat zu gehen, in
Zweifel. Wären diese Motive menschlicher Art gewesen, wären wir keinen einzigen
Tag geblieben. Was hätte uns in einem Haus halten können, in dem wir nur eine
Scheune als Schlafsaal hatten, ein bisschen Stroh und trockene Blätter als Bett
und zum Essen nur Schwarzbrot, das ständig krümelte, weil es so schlecht
gebacken war, ein bisschen Gemüse und zum Trinken nur Wasser? In einer so
naturfeindlichen Situation konnte uns nur eines ansprechen: unsere offen
bekundete Verehrung für Maria. So wie wir waren, waren wir von den schönen
Dingen, die unser Vater Champagnat uns über die Gottesmutter erzählte, so
gerührt, dass uns nichts in der Welt von unserer Berufung hätte abbringen
können. »
In der Verzweiflung
Die Unterstellungen gegen das Werk des Vikars von La Valla drangen bis in
den erzbischöflichen Palast von Lyon vor. Einer der Generalvikare, der die
Diözese faktisch regierte, machte Champagnat Vorhaltungen; ein weiterer
Generalvikar pflichtete ihm bei. So entstand allmählich ein Klima des
Misstrauens gegen die Schulbrüder. Der Konvent lebte in Erwartung einer
Katastrophe und wandte sich in seiner Verzweiflung an die Heilige Gottesmutter.
Am 22. Dezember 1823 wurde schließlich Mgr. de Pins zum apostolischen Verwalter
der Diözese Lyon ernannt, und er war Pater Champagnat gewogen.
Marcellin wandte sich mit der Bitte um Unterstützung an seinen ehemaligen
Seminarkollegen Courveille, der die Gesellschaft der Maristenpatres leitete.
Zur gleichen Zeit wurde er in seinem Amt als Vikar von La Valla abgelöst. Die
beiden Priesterkollegen beschlossen, ein großes Grundstück in der Nähe von
Saint-Chamond zu kaufen und darauf ein riesiges Gebäude für 150 Brüder zu
errichten. Der Plan war unerhört und stieß in der Nachbarschaft auf wenig
Verständnis. So wurde eine neue Verleumdungskampagne gestartet. Trotz alledem
machte der Bau rasche Fortschritte. Das Haus wurde später Notre-Dame de
l'Hermitage genannt.
Abbé Courveille fühlte sich indes immer mehr dazu berufen, die Brüder zu
führen; diese wiederum betrachteten nach wie vor Marcellin als ihren Vater.
Courveille beharrte weiter darauf und ließ eine Abstimmung zur Wahl des
Superiors durchführen, bei der Marcellin einstimmig gewählt wurde. Abbé
Courveille gab immer noch nicht auf; er nutzte die Abwesenheit des Gründers, um
die Brüder irrezumachen. Als Marcellin Ende Dezember 1825 von einer Reise
heimkehrte, wurde er mit Vorwürfen empfangen. Er war vor Müdigkeit so erschöpft
und von vielen Sorgen, insbesondere um die Finanzierung seines Werkes, so
aufgerieben, dass er zusammenbrach und sich ins Bett legen musste. Eine Woche
später stand er an der Schwelle des Todes. Auf diese Nachricht hin strömten die
Gläubiger in Scharen herbei, um ihr Geld zurückzufordern. Glücklicherweise
bezahlte der Pfarrer von Saint-Chamond einen Teil der Schulden; im Haus
herrschte dennoch vollkommene Ratlosigkeit. Die Kongregation schien verloren zu
sein; da begann sich der Gesundheitszustand des Gründers völlig unerwartet zu
bessern. Allerdings sollte Pater Champagnat nie wieder seine frühere Kraft
erlangen. Abbé Courveille versuchte nach wie vor von den Brüdern als Superior
anerkannt zu werden, bis er sich schließlich im Mai 1826 wegen einer schweren
Verfehlung in das Trappistenkloster von Aiguebelle zurückziehen musste. Bei den
Einkehrtagen der Gemeinschaft 1826 ließ der Gründer die Brüder in der Absicht,
deren Berufung der zu stabilisieren, eine Ordensprofess ablegen.
Sich ruhig halten
Zehn Jahre nach seiner Gründung zählte das Institut über 80 Brüder, die auf
16 Einrichtungen aufgeteilt waren. Abbé Champagnat bemühte sich um die
offizielle Anerkennung des Werks von staatlicher Seite, vor allem, um die
Befreiung der Brüder vom sieben Jahre währenden Militärdienst zu erreichen.
Angesichts der Erfolglosigkeit seiner Bemühungen schrieb er: « Früher oder
später werden wir diese Anerkennung durchsetzen « Uns liegt vor allem daran,
unsererseits das zu tun, was Gott uns tun lassen will, nämlich unser Bestes;
danach müssen wir uns nur ruhig halten, und die Vorsehung wirken lassen. Gott
weiß besser, was uns bekommt, was für uns gut ist. Ich bin mir sicher, dass ein
kleiner Verzug uns nicht schaden wird. » Tatsächlich erfolgte die öffentliche
Anerkennung erst nach dem Tode des Gründers.
Oft forderte Marcellin die Brüder auf, sich ganz und gar Gott und ihren
Nächsten zu weihen. Er selbst ging mit gutem Beispiel voran. Auf den Vorwurf,
er übertreibe, erwiderte er: « Niemand ist unersetzlich, doch Jesus sagt uns:
Geht im Licht, solange ihr es habt (Joh 12,35). » Er bemühte sich eifrig, bei
den Brüdern eine tiefe Verehrung für die Heilige Jungfrau Maria zu wecken. «
Andere Ordensleute opfern sich durch Armut, durch Gehorsam oder auch durch ihr
eifriges Bemühen um das Heil der Seelen. Ich will, dass niemand unsere Brüder
an Liebe zu Maria, an Marien-Frömmigkeit übertrifft. » Maria war nicht nur die
Patronin der Brüder, die stolz ihren Namen trugen, sondern auch ihre Mutter,
ihr Vorbild, ihre erste Vorgesetzte und ihre « gewöhnliche Hilfsquelle », wie
der Gründer zu sagen pflegte. « Sie hat bei uns alles gemacht! », sagte Marcellin.
Am 12. Mai 2007 sagte Papst Benedikt XVI. im gleichen Sinne: « Es gibt keine
Frucht der Gnade in unserer Heilsgeschichte, die nicht notwendigerweise durch
die Mittlerschaft Unserer Lieben Frau bewerkstelligt worden wäre. »
Gegen Ende des Jahres 1839 schwand Marcellins Kraft merklich dahin. Pater
Colin, der Superior der Gesellschaft der Maristenpatres, schlug vor, er solle
sich einen Nachfolger an der Spitze der Brüder suchen. Im Oktober wurde Bruder
François Rivat in dieses Amt gewählt. Der Gründer war nichtsdestoweniger weiter
aktiv, doch bald konnte er wegen starker Magenschmerzen nichts mehr essen und
musste sich schonen. Anfang Mai eröffnete er noch die Exerzitien zum
Marien-Monat; als er wieder in sein Zimmer zurückgekehrt war, sagte er: « Für
mich ist jetzt Schluss, ich spüre, dass ich bald davongehe. » Am 11. Mai
empfing er in Gegenwart des ganzen Konvents die Krankensalbung. « Meine Freunde
», sprach er zu den Brüdern, « wichtig ist, dass wir einander lieben. Bedenkt,
dass ihr Brüder seid, dass Maria eure Mutter ist und dass ihr alle zum selben
Erbe, dem Himmel, berufen seid. » Gegen 2 Uhr 30 am Morgen des 6. Juni machte
Marcellin den Bruder, der bei ihm wachte, darauf aufmerksam, dass die Lampe
ausgehe. Der Bruder erwiderte ihm, das Licht der Lampe sei nicht schwächer
geworden. « Ich verstehe, meine Sicht schwindet », antwortete der Sterbende. «
Meine Stunde ist gekommen. Gott sei dafür gepriesen! » Als die bei
Sonnenaufgang versammelte Gemeinschaft das Salve Regina bei ihm sang, ließ er
sanft sein irdisches Leben hinter sich.
Johannes-Paul II. sagte in seiner Predigt zur Heiligsprechung Marcellin
Champagnats am 18. April 1999: « Dank seines unerschütterlichen Glaubens blieb
er Christus trotz aller Schwierigkeiten treu – inmitten einer Welt, die den
Sinn für Gott manchmal verloren zu haben schien. Auch wir sind aufgefordert,
unsere Kraft aus der Betrachtung des auferstandenen Jesus Christus zu schöpfen,
indem wir uns am Beispiel der Jungfrau Maria orientieren. »
Dom Antoine Marie osb
http://www.clairval.com/lettres/de/2008/01/01/1020108.htm